Knecht des Smartphones
Als mein iPhone nicht mehr wollte, habe ich mir ein Tastenhandy gekauft. Und seitdem fühle ich mich viel lebendiger. Wirklich.Tot. Also zumindest mehr tot als lebendig war mein iPhone 5 seit Anfang des Winters. Ich weiß nicht, ob es plötzliche Frostallergie oder geplante Obsoleszenz war, aber mein etwa zwei Jahre altes Smartphone wollte nicht mehr mein allwissender Wegbegleiter für den Alltag sein. Also habe ich an ein neues Wunderwerk der Technik gedacht. An eines dieser Smartphones, die mich in den vergangenen Jahren gratis durch Schweden navigiert haben, für mich das beste Lokal San Franciscos gefunden haben oder in Neu-Delhi ein komfortables Taxi anbrausen haben lassen. Diese Telefone haben mir oft geholfen, sie haben mich aber noch öfter in ihren Bann gezogen. So sehr, dass ich manchmal die Bilder betrachte, die ich mit ihnen geschossen habe und mich frage, ob ich bei der Aufnahme der Fotos denn wirklich dabei war.
Das wollte ich mich aber nicht mehr fragen. Ich trete zurück aus der Welt des Smartphones zurück. Kein neues Smartphone, mich zu knechten. Ich kann ja auch nur wochenends rauchen. Ich schaffe es, auf Kaffee zu verzichten und halte mich auch beim Essen ganz nach Heinz Strunk: Es schmeckt wirklich nichts so gut, wie Dünnheit sich anfühlt. Mein neuer Begleiter wird gerne »Entwicklungsland«-Handy geschimpft. Er kostet vertragsfrei 25 Euro, hat Tasten, einen Musikplayer und eine Taschenlampe, aber keinen Touchscreen, keine Kamera, kein GPS und keine Internetfunktion.
Zwei Wochen sind vorbei. Ich bin noch lange nicht geheilt. Ich kommuniziere weiterhin viel, ich habe nicht aufgehört zu arbeiten, aber ich habe noch kein Projekt verloren, weil ich seltener Emails lesen kann. Ich arbeite ganz im Gegenteil unmittelbarer und konzentrierter. Ich chatte nicht mehr per SMS. Ich schreibe eine Nachricht mit Inhalt, nicht mehrere mit einzelnen Worten. Und ich schreibe weniger. Kein WhatsApp, kein Facebook-Messenger. Manche meiner Kanäle sind einfach versiegt. Ich bekomme noch immer alles mit, sehe lachende Eulen aber ein paar Stunden später. Ich greife wieder öfter zusätzlich zu Zeitungen und Magazinen. Wenn ich auf Reisen bin, lese ich richtige Bücher anstatt Facebook. Wenn ich einen Weg nicht kenne, recherchiere ich am Abend davor den Fußweg sowie die Verbindung mit dem öffentlichen Verkehr und schreibe beides in ein Notizbuch. Und ich muss meine Aufzeichnungen selbst bei vier Ortswechseln an einem Tag kein einziges Mal aus der Tasche holen, weil ich mir alles merke. Ich bin entspannter als früher, weil mir mein GPS mit der Abweichungsgefahr von einigen Metern nicht Sicherheit und Orientierungssinn nehmen. Und wenn ich mich nicht auskenne, lasse ich mich von Menschen beraten. Von richtigen, nicht von denen, die in irgendeinem Forum irgendwann irgendwelche Tipps gegeben haben.
Und ich genieße. Zum Beispiel diesen Blick in die Ferne, die Symetrie der Bäume, die friedliche Stimmung auf dieser Allee. Ich genieße Momente meines Lebens, ganz ohne sie fotografieren zu müssen. Ich speichere sie einfach auf meiner eigenen Festplatte ab. Und ich sitze im Zug, der mich nach Hause in meine Stadt bringt. Mein Mobiltelefon hat vor zwei Tagen seine letzte bewusste Kollision mit einer Steckdose erlebt und ist noch immer aktiv. Ich ziehe es aus der Tasche. Nicht zur Unterhaltung in diesem gefühlten Moment der Langeweile — sondern nur für einen kurzen Augenblick, um die Uhrzeit festzustellen: 23:46 Uhr. Ich schau in das Abteil, die Menschen um mich herum starren auf ihre Screens. Auf Facebook, auf Nachrichtenwebsites, auf E-Mails — und wieder auf Facebook, auf Instagram, auf alles, was Smartphones eben smart macht.
Ich schreibe für sie alle diese Zeilen. Für diese Menschen, die in meiner noch immer völlig überkommunikativen Welt fast tot wirken. Tot — mehr oder weniger. So wie mein iPhone 5 seit Anfang des Winters. Und ich nehme wahr, dass ich viel lebendiger bin als sie. Und dann klappe ich meinen Laptop zu. Und frage mich, was sie seit der Abfahrt vom Bahnhof über mich gedacht haben. Über diesen Mitreisenden, der zweieinhalb Stunden vertieft in seinen Laptop war. Einer wie wir, werden sie sich gedacht haben. Auch nur einer wie wir.
Ja eh, antworte ich ihnen. Aber immerhin kein Knecht des Smartphones mehr.
erschienen im Megaphon, April 2015